Leseprobe zu "Unverofft - Magisches Geflüster"

Unverhofft

Manchmal ist einfach alles wie verhext. Oder wohl eher verflucht.

»Das kann einfach nicht angehen!«, schrie Annika und trat mit voller Wucht gegen den Laternenpfahl vor dem Brautmodengeschäft. »Aua!«, brüllte sie gleich darauf.

Ich sah sie nur an, schüttelte aufgelöst den Kopf und drängte die aufsteigenden Tränen zurück.

»Ich hole dich morgen ab, okay?«, fragte ich und seufzte.

»Klar, als ob das was bringen würde«, knurrte sie, fuhr sich durch die Haare und dann über die Augen. Sie atmete tief durch. »Ich muss los, Lilly bei der Tagesmutter abholen.« Sie holte noch einmal tief Luft. »Also morgen um neun.«

Ich nickte und schluckte tapfer. »Wir kriegen das schon irgendwie hin.«

Ich schnaubte. Um ehrlich zu sein, glaubte ich meinen eigenen Worten nicht. Ich sah mich zum abgedunkelten Schaufenster um. Svenssons stand in großen Lettern über der Tür. Darunter in schräger Schrift Braut- und Abendmoden. Ein kleiner, aber erstaunlich gut besuchter Laden, der Kunden aus allen drei nächstgelegenen Städten anzog. Wir waren bekannt für unseren guten Service, die exquisite Auswahl und für Qualität. Eine erfolgreiche Kombination. Umso überraschender platzte die heutige Bombe: pleite!

Wir konnten es kaum fassen. Und nun standen wir hier vor verschlossenem Laden. Die Chefin hatte uns einfach nach Hause geschickt.

Wir verabschiedeten uns und gingen mit hängenden Schultern in verschiedene Richtungen. Ich wechselte die Straßenseite, achtete kaum auf den Verkehr und ignorierte den hupenden Fahrer, der mir einen Vogel zeigte.

Mit Tränen in den Augen schleppte ich mich die steile Bergstraße hinauf zu meinem Wohnblock. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Es ging aber auch alles schief. Das typische Klischee.

Vor einem Monat hatte ich meinen Freund mit einer anderen erwischt. Wegen ihm war ich überhaupt umgezogen, in dieses beschauliche Örtchen. Nun gut, zum Teil auch wegen des Jobs. Seit mehr als einem Jahr arbeitete ich bereits als Verkäuferin im Brautmodengeschäft des Ortes und pendelte aus der Stadt hierher. Ungewöhnliche Richtung, normal lief das andersherum, ich weiß. Doch es hatte mir nach dem Vorstellungsgespräch gleich dort gefallen, also nahm ich das Angebot an. Vernünftige Arbeit war immerhin besser als die Aushilfsjobs, mit denen ich mich sonst über Wasser gehalten hatte.

Und dann hatte ich Sven kennengelernt. Glücklicherweise hatte ich auf einer eigenen Wohnung bestanden. Irgendetwas – vermutlich mein Unterbewusstsein – hielt mich davon ab, gleich bei ihm einzuziehen. Ich fand schnell eine Wohnung – Schicksal? Zuerst lief alles perfekt – neuer Job, neue Wohnung, frisch verliebt. Und jetzt? Seine Sekretärin. Wie sollte es auch anders sein?

Ich schnaubte. Stand denen irgendwo Immer zu Diensten auf die Stirn geschrieben, magisch und nur für die männliche Welt sichtbar? Oder gab es einfach nur so viele Sekretärinnen, dass die Wahrscheinlichkeit, gerade von seinem Mann oder Freund durch diese Berufsgruppe betrogen zu werden, ins Unermessliche stieg?

Ich entschuldige mich hiermit bei allen unschuldigen Sekretärinnen. Es ist nicht persönlich, ich habe nur zurzeit ein gestörtes Verhältnis zu diesem Wort.

Heute, nach einem Monat, leckte ich noch immer meine Wunden, fand aber Trost darin, dass mir der Job so gut gefiel. Wir verstanden uns super, meine Kollegin Annika und ich. Auch die Chefin Frau Svenssons war nett. Manchmal etwas seltsam, aber man konnte nicht alles haben. Zumindest behandelte sie uns anständig. Der Lohn wurde auch ohne Verzögerung gezahlt, sogar ein wirklich anständiges Weihnachtsgeld war letztes Jahr drin gewesen. Wer will da schon meckern? Im Gegenteil, wir liebten unseren Job. Daher fielen wir beide auch aus allen Wolken, als die Chefin heute tränenüberströmt und stockbesoffen in den Laden kam, einen Ständer mit Brautkleidern umriss und uns lallend verkündete, dass sie pleite sei und wir entlassen. Fristlos, sie könnte keinen Cent mehr zahlen.

Annika war ausgetickt. Vollkommen hysterisch schrie sie die Chefin an, rief was von Spielsucht und sie hätte es doch versprochen. Und was sie, Annika, denn jetzt machen sollte: alleinerziehende Mutter, Wohnung und Hund und überhaupt ...

So nach und nach verstand ich die Zusammenhänge. Die Chefin litt unter Spielsucht. Offenbar hatte der Laden vor zwei Jahren schon einmal kurz vor der Pleite gestanden. Damals war Annika noch in einer Beziehung gewesen und ohne Kind. Da die Chefin hoch und heilig versprochen hatte, mit dem Spielen aufzuhören, sich wohl auch mächtig am Riemen riss und die Bank ihr einen Kredit bewilligte, hatte Annika die Durststrecke – drei Monate unbezahlt arbeiten – mithilfe ihres damaligen Freundes überwunden und war dem Laden treu geblieben. Danach lief es mustergültig. Bis jetzt. Alles verspielt, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir arbeitslos, einen Monat vor Weihnachten.

Verflucht, verflucht, verflucht! 

Für Annika sah es nicht viel anders aus. Und sie hatte auch noch ihre einjährige Tochter Lilly zu versorgen. Ich konnte ihren Ausraster gut nachvollziehen. Eine Katastrophe.

Auf halbem Weg den Bergweg hinauf lag ein schnuckeliges kleines Häuschen. Alles ein wenig veraltet, ein neuer Anstrich würde der Fassade guttun, die schmiedeeiserne Pforte in dem idyllischen, aber vernachlässigten Garten rostete und knarrte in den Scharnieren. Uralte Apfelbäume mit urig knorrigen Ästen dominierten die gelbliche Rasenfläche. Jetzt, Ende November, blieb nur die Erinnerung und die Erwartung auf die atemberaubend überquellende Apfelblüte – wie ein jährlich wiederkehrender Zauber.

In diesem kleinen Häuschen lebte Astrid, eine alte Frau, weit über 90, die ähnlich knorrig wie ihre Apfelbäume wirkte. Astrid war nicht sehr beliebt im Ort. Heimlich nannten sie die Alte mit ihren langen, grauen Haaren die Hexe vom Berg.

Ich kannte Astrid im Grunde genommen nur vom Sehen. Sie war nicht gerade gesprächig, halb taub und schien das Alleinsein vorzuziehen. Bis auf ihre Katzen – und davon hatte sie gleich fünf – ließ sie niemanden an sich heran. Wenn sie mich sah, und ich wie immer freundlich grüßte, starrte sie mich nur an, nickte kurz und wandte sich ab. Sie war nicht wirklich unfreundlich, eher extrem kurz angebunden. Astrid war nicht mehr so gut zu Fuß, daher hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, ihren Mülleimer für sie an die Straße zu stellen, nachdem ich bemerkt hatte, dass sie es einfach vergaß. Meistens wurde ich von einer ihrer Katzen begleitet und überwacht.

Als ich nun, recht mutlos die Zukunft betrachtend, ihr Häuschen erreichte, versuchte Astrid gerade, samt Gehwagen, ihre rostige Pforte zu durchqueren. Ein mühsames Unterfangen, da diese immer wieder von selbst zufiel und sich dabei die Räder ihres Rollators verhakten. Ich trat hinter Astrid, hielt mit einer Hand die Pforte auf und wartete, bis sie hindurch war. Ich dachte, sie würde sich umdrehen, doch dann verstand ich, dass sie mich offenbar gar nicht bemerkt hatte.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Meine Sorgen rutschten kurz in den Hintergrund, und ich musste ein Glucksen unterdrücken. Was dachte sich Astrid wohl? Dass sich die Pforte plötzlich entschieden hatte, weniger widerspenstig zu sein, nur um ihr das Leben zu erleichtern? Fast wie Magie. Schmunzelnd beobachtete ich, wie die Alte im Schneckentempo auf die Haustür zu schlich.