Leseprobe aus "Das Vermächtnis der Lil`Lu: Emilie - Traumbegegnungen"

Leseprobe aus dem 3. Band der Fantasy Reihe Das Vermächtnis der Lil`Lu.

 

»Waffen weg und mit erhobenen Händen langsam herauskommen!«

Die strenge Stimme ließ mich panisch aufschreien. Ich wirbelte herum, trat rückwärts und landete unsanft auf dem gefrorenen Boden.

»Hände hoch!«, befahl der Mann, als ob ich von meinem Hintern aus einen bedrohlichen Angriff starten könnte.

Hilfe! Mein stiller Ruf verhallte in meinem Kopf. Er hatte nicht einmal meine Lippen verlassen. Was soll ich sagen? Ich bin kein mutiger Mensch. Gewalt ist mir zuwider. Ich bin nun einmal die sanfte, zierliche und liebenswerte Emilie, nicht irgendeine Amazone. Zitternd hob ich die Hände, blieb einfach auf dem eisigen Boden sitzen und starrte den Mann an, der mich unverhohlen musterte. Hinter ihm standen weitere Kerle …

Nein! Wie war das möglich? Das konnte doch nicht sein!

Zwei von ihnen hatten lederartige Flügel, die boshaft zitterten, während sie ihre Waffen auf mich richteten. Flügel! Ach, hatte ich


das eigentlich schon erwähnt? Danny hatte Flügel. Sie war eine Nephilim. Ein Wesen, das von Engeln abstammte. Engeln! Doch Danny war meine imaginäre Traumfreundin! Wieso also hatten nun diese Männer Flügel?! Flügel! Ich konnte es einfach nicht fassen. Mein Gehirn streikte, das war zu viel. Ich starrte die Kerle, die mich nun missbilligend musterten, mit offenem Mund an, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf.

»Was ist sie?«, hörte ich einen von ihnen in einem seltsamen Dialekt fragen, der sehr an schwedisch oder norwegisch erinnerte, aber merkwürdig veraltet klang. Wie bei Danny …

Einer der geflügelten Männer schnupperte in meine Richtung.

»Sie hat ihren Duft. Schwach nur, aber es ist der Duft des Weibchens.«

»Aber sie ist keine Nephilim«, sagte der zweite Geflügelte mit fester Stimme. »Das spüre ich!«

Ich blickte panisch von einem zum anderen. Nephilim. Da war das Wort gefallen. Nephilim, wie Danny. Oh, mein Gott!

Danny. Sie hatte mich gewarnt … Vor diesen Männern? Waren sie die Brüter? Aber Danny war ein Hirngespinst! Mein Hirngespinst. Mein Schutz gegen die Albträume!

Der erste Kerl kam näher, beugte sich über mich, sodass ich mich trotz erhobener Hände zurücklehnte, und schnüffelte noch einmal. Ein penetranter Geruch nach abgestandenem Bier und Schweiß schlug mir ins Gesicht. Ich wünschte mich weit, weit weg. Jetzt wäre der geeignete Moment, um zurück zu wechseln. Mit aller Kraft dachte ich an zu Hause, doch leider passierte rein gar nichts.

»Ein Mensch«, sagte das geflügelte Wesen dann gefährlich leise. Ein Knurren ertönte. Schlagartig erinnerte ich mich an den Tiger mit der Beute und sah mich reflexartig um. Er war weg, mit dem Rentier. Doch es knurrte immer noch. Jetzt sogar noch lauter und in Stereo. Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter, als sich beide Nephilim über mich beugten und Krallen aus ihren Fingern fahren ließen. Das Bild des gerissenen Rentiers huschte durch meine Gedanken. Ich war sowas von geliefert.

»Hey! Aufhören!«, befahl der Mann, der mich als erstes gestellt hatte. Offenbar hatte er das Sagen.

Das Knurren wurde tiefer und ich sackte noch weiter in mich zusammen. Ich zitterte am ganzen Körper.

»Los, zurück!«, befahl der Kerl ärgerlich.

Ich schluckte. Obwohl der auch nicht gerade vertrauenserweckend war, verspürte ich einen Hauch von Dankbarkeit, als sich die beiden Nephilim aufrichteten und somit nicht mehr direkt über meiner Kehle hingen.

»Aber sie ist eine Wechslerin!«, knurrte der eine Geflügelte. Knurren schien bei jedem Wort, das seinen Mund verließ, ein Muss zu sein. »Hast du die seltsame Druckwelle im Raum-Zeit-Gefüge vergessen?«, fragte er, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Das war sie, da bin ich ganz sicher! Irgendeine neue Waffe!«

»Ich weiß! Und wir müssen wissen, was sie getan hat«, erwiderte der Anführer.

»Nichts Gutes, das ist sicher«, knurrte der zweite Geflügelte. Er roch scharf nach Chili. Der Duft! Nephilim hatten spezifische Düfte. Danny … Himbeeren …

»Sie ist ein Mensch!«, spuckte er aus.

Ich zuckte zusammen. Dieser eine Satz schien alles zu sagen: Sie ist ein Mensch.

Du bist ein Mensch! Menschen sind unsere Feinde, sie kommen aus anderen Welten, um uns zu vernichten …

Das konnte doch nicht wahr sein. Das konnte alles doch nicht wirklich passieren! Ich musste hier weg. Musste wechseln! Aber wie?

»Wir werden sie mitnehmen. Laird Alexander wird wissen, was zu tun ist«, entschied der Anführer. »Sie muss verhört werden. Ich habe solch eine Druckwelle noch nie erlebt. Ihr etwa?«

Die Nephilim knurrten zur Antwort. Was für eine Überraschung.

»Los, packt sie auf ein Pferd!«

»Fliegen geht schneller …«

»Oh, nein. Ich traue euch nicht. Das hier ist mein Kommando und ich will, dass sie lebend zur Burg gebracht wird! Was danach geschieht, hat Laird Alexander zu bestimmen. Ihr werdet keine Informationsquelle töten, nur um euren Rachegelüsten nachzukommen. Ist das klar!«

Die Stimme des Mannes klang eisig, wie der Boden unter meinem Hintern, der im Übrigen bereits taub vor Kälte war. Ja, ich spürte das, obwohl mir sonst kein klarer Gedanke mehr vergönnt war. Diese Männer waren gefährlich und ich ihr Feind, das war das Einzige, das bei mir wirklich ankam. Und als sich der Geflügelte vorbeugte und mich am Arm packte, da brannte bei mir eine Sicherung durch. Es war das Falscheste, was ich in meiner Situation machen konnte – ich verstehe bis heute nicht, was mich da geritten hatte –, aber ich explodierte förmlich. Wie eine panische Katze waren meine Hände und Füße plötzlich überall – kratzten, schlugen und traten nach allem, was mich berührte. Als sich mir auch noch eine breite Hand mit Krallen auf den Mund legte, biss ich so stark zu, dass es knackte. Der Mann schrie, fauchte mich böse an und verpasste mir eine Schelle, dass ich benommen zurücksackte. Mein Schädel brummte, ich sah die sprichwörtlichen Sterne und schmeckte die metallische Note von Blut in meinem Mund. Ich war mir nicht sicher, ob es vom Finger meines Gegners oder von mir stammte. Ich sah nur noch verschwommen und hing wie ein nasser Sack in den Klauen des Nephilim, der mich nun laut schimpfend über die Schulter warf und in Begleitung seiner amüsiert lachenden Kumpanen zur Hütte marschierte. Halb weggetreten bekam ich mit, wie mir der Nephilim an den Busen ging. Sein widerlicher Atem brachte mich zum Würgen. Ein heiseres Lachen ertönte. Ich wollte mich wehren, doch ich war wie benebelt.

»Schluss damit!«, brüllte der Anführer, dann wurde ich unsanft über ein Pferd geworfen und festgezurrt.

 

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