Kurzgeschichte: "Getrieben"

Heute gibt es mal etwas ganz anderes von mir!

Eine Mini-Kurzgeschichte gratis hier lesen!

"Getrieben" von Marita Sydow Hamann

#Horror #Mystik #Thriller

 

 

In zweierlei Hinsicht.

 

1. Ich habe vor, ab und an hier auf meiner Homepage eine Mini-Kurzgeschichte gratis zu veröffentlichen. In meinen üblichen Genres Fantasy, Magie, Mystik, Romance.


 

2. Mein Mann meinte, ich solle doch mal was schreiben, was auch er gern lesen würde. So als Info: Bei ihm muss das Blut schon aus den Seiten quellen, damit es sein Interesse weckt ...

Ich hab die Herausforderung angenommen, wenn auch nur für eine kleine Kurzgeschichte. Und ich hab danach echt schlecht geschlafen, ich bin einfach nicht der Horrortyp, derartige Filme und Bücher kann ich nicht gucken oder lesen, ohne danach Angst zu haben, allein aufs Klo zu gehen. :D Und da ich schreibe was ich sehe (ich lasse einen Film vor meinem geistigen Auge ablaufen und beschreibe was ich sehe, fühle, rieche usw.) ist solch ein Genre für mich irgendwie nicht geeignet ...

Aber hier nun das Resultat, mein Mann fand die Geschichte jedenfalls gut. Bin sehr gespannt was ihr zu meinem Ausflug in ein ganz anderes Genre sagt! Wer von mir Romantik, Fantasy und Happy End gewohnt ist und auch so manches Kinderbuch, der sei also vorgewarnt ...

 

"Getrieben" von Marita Sydow Hamann

 

Die salzig feuchte Luft verriet die Nähe zum Hafen. Geräuschlos, fast wie auf sanften Pfoten, ging er die schmale Gasse im Schatten der hohen Häuser entlang. Ihr Duft hing zwischen den baufälligen Mauern, schwer, süß und klebrig, wie zu viel Honig an einem zu kleinen Löffel. Lockend. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Er konnte das Geklapper ihrer hohen Absätze auf dem Kopfsteinpflaster dumpf widerhallen hören. Das gleichmäßige Klack, Klack, Klack unterbrach und wechselte die Tonhöhe, jedes Mal, wenn sie auf der unebenen Straße mit den Pfennigabsätzen ins Stocken geriet. Er hatte nur einen kurzen Blick auf ihre Gestalt erhaschen können, als sie den Park verließ, um in die Gasse einzubiegen. Aber der hatte gereicht. Lange Haare, schmale Silhouette, klassische Gesichtszüge. Und jung. Blutjung. Und blutgefüllt … Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, er leckte sich begierig über die bläulichen Lippen. Ein erwartungsvolles Ziehen zog sich durch seinen kräftigen Körper. Ein dunkles Geräusch entfuhr seiner haarigen Kehle – wie ein dumpfes Grollen. Eine Katze fauchte und ergriff die Flucht. Im fahlen Mondlicht sah er ihren Schatten zwischen überquellenden, faulig stinkenden Mülltonnen verschwinden. Sie spürte die Gefahr wie eine fassbare Vibration, getragen durch unsichtbare Fäden und dennoch fast greifbar. Er lachte leise in sich hinein, sog den Duft der Frau tief in seine Lungen und folgte dem schwacher werdenden Klack, Klack auf leisen Sohlen – schneller, um sie einzuholen, aber dennoch langsam genug, um die Vorfreude zu genießen.

Je näher er ihr kam, desto häufiger drehte sie sich um. Sie sah ihn nicht, dafür war er zu geschickt, doch nicht nur Katzen haben ein Gespür für Gefahren. Er konnte ihr wachsendes Unbehagen an ihrer schneller werdenden Gangart und den zunehmend hektischen Bewegungen wahrnehmen. Absichtlich ließ er sie seinen Schatten sehen. Sie zuckte zusammen, spähte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit, dann eilte sie noch schneller die Gasse entlang. Klack, Klack, Klack …

Er konnte ihre Angst nun endlich riechen – sog den aufregenden Duft durch seine aufgeblähten Nasenflügel und leckte sich den Vorgeschmack seiner Beute von den Lippen. Von den Lefzen … Seine Gestalt wuchs, Nägel wurden zu Krallen, seine Zunge fuhr lustvoll über spitze Fangzähne. Im Schatten der fahlen Scheibe über den Dächern der Stadt setzte er zum Sprung an. Kräftige Muskeln spielten unter einer viel zu behaarten Haut, ein leises Knurren, dann schnellte er vorwärts und hing nur Sekunden später an ihrer Kehle.

Ihr Schrei erstickte in ihrem eigenen Blut – nur ein klägliches Gurgeln erklang. Sie zappelte, trat und kratzte, bäumte sich panisch auf, während ihr Blut an ihrer zerfetzten Kehle herablief, sich seinen Weg zwischen ihre prallen Brüste suchte. Ein metallischer Geruch verteilte sich, mischte sich mit ihrer Angst, hüllte ihn ein und steigerte seine Lust ins Unermessliche. Er konnte ihre Angst spüren, als wäre es seine eigene, leckte die Panik von ihren zitternden Brüsten und labte sich an ihrem Schmerz. Mehr! Er brauchte mehr! Er riss ihr die Bluse vom Leib, das Geräusch trieb in fast zur Ekstase, dann stieß er seine Fangzähne tief in ihre rechte Brust. Weiteres Gurgeln dämpfte ihre Schreie.

»Niemand hört dich, süßes Mädchen.« Seine tiefe, raue Stimme überraschte durch einen melodischen Singsang – lockend, reizend, neckend. »Keine Schreie, nur du und ich, dein Blut und deine Schmerzen.«

Tränen liefen ihr die Wangen hinab, ihre Augen schienen aus den Höhlen zu quellen.

»Süßes Mädchen, süße Tränen«, lachte er leise in sich hinein und leckte ihr mit einer blauen Zunge die salzigen Tränen aus dem Gesicht. Dann beugte er sich über sie und biss und riss, saugte und leckte, zerfetzte und kaute, horchte entzückt ihrem gurgelnden Schreien, bis sie schwächer wurde, bis ihr Körper langsam unter seinen Attacken erschlaffte und letztendlich leblos in seinen Armen hing. Eine blutige Masse, kaum noch als Mensch zu erkennen – bis auf das süße Gesicht, das nicht einen Kratzer enthielt. Ein Gesicht, nun eine starre Maske des Todes, die Qualen aus jeder einzelnen Pore ersichtlich – für immer.

Zufrieden leckte er sich über die Lefzen. Die Lippen … Er schrumpfte, spitze Fänge wurden zu Zähnen, Krallen zogen sich zu Nägeln zurück. Er betrachtete ihre leblose, blutige Masse. Tot, wie er den Tod hasste. Süße Qualen … Sein Hunger erwachte aufs Neue, seine Gier nach Blut, nach Fleisch, nach dem Duft der Angst. Er legte den Kopf in den Nacken, ließ den Wolf noch einmal hervor, und starrte die fahle Scheibe des Mondes an, die hoch über ihm und unerreichbar stand. Ein Heulen tönte durch die alte Stadt.

Auf leisen Sohlen durchstreifte er die Gassen nach seinem nächsten Opfer, nach mehr Blut, nach mehr Fleisch, nach mehr … Mehr …

 

Ich legte das Buch zur Seite und zog die Jacke enger. Es war kalt im Auto geworden. Mein Blick fiel auf den Eingang zu einer dunklen Gasse, nur wenige Meter von meinem parkenden Auto entfernt. Es war soweit. Mein Magen schnürte sich vor Vorfreude zusammen. Und vor Aufregung. Das Verlangen war unermesslich, es war gestiegen und gestiegen, hatte unfassbare Höhen erreicht. Ich hielt es nicht mehr aus. Jetzt, ich konnte nicht mehr warten. Ich lauschte noch einige Sekunden dem Rauschen meines Blutes, dann griff ich nach dem Messer und kontrollierte noch einmal die Klinge. Gewissenhaft hatte ich sie geschärft, bis auch nur die kleinste Berührung ausreichte. Ich zuckte zurück, ein Tropfen Blut quoll aus meinem Finger hervor und ließ mein Herz höher schlagen. Jetzt.

Ich öffnete die Autotür, stieg aus und schloss sie leise. Kühle Luft umschlang mich – feucht und salzig verriet sie das nahe Meer. Ich blickte hinauf in die fahle Scheibe des Vollmondes, ein Lächeln umspielte meine Lippen. Oh ja, heute würde ich dem Verlangen nachgeben. Dem immer weiter wachsenden Druck.

Ich huschte in die Gasse, schlich sie bis zum Ende und wartete. Der Club lag so nahe, dass ich das dumpfe Hämmern der Bässe hören und sogar spüren konnte. Der faule Geruch von überfüllten Mülltonnen zog zu mir herüber. Ich wartete geduldig, ich wusste, ich würde bald bekommen, wonach jede Faser in mir verlangte. Bald. Jede Minute steigerte nur meine Spannung und die Vorfreude. Ein Pirren ging durch meinen Körper, als würde ich unter Strom stehen, mein Atem ging flach, meine Zunge befeuchtete zum hundertsten Mal die spröden Lippen.

Dann hörte ich das Klappern von hohen Absätzen auf mich zukommen – näher, immer näher. Klack, Klack, Klack hallte es dumpf von den Mauern der Häuser wider. Mein Herz begann zu rasen, das Blut pulsierte in meinen Adern. Mein schmächtiger Körper schien zu wachsen, ich fühlte mich lebendiger als je zuvor und krallte meine Fingernägel tief ins Innere der Handflächen. Gleich … Ich zog das Messer und verharrte atemlos.

Klack, Klack, Klack … Der Schatten einer jungen Frau kam heran, war nun direkt neben mir. Sie hüstelte, zog den Kragen ihrer Jacke höher. Nein, das würde ihr nicht helfen. Ich blieb unbemerkt, als sie an mir vorbeiging und sich ahnungslos durch das lange Haar fuhr. Leichte Beute. Ich atmete tief durch, schien noch weiterzuwachsen, fasste das Messer fest am Griff und setzte zum Sprung an. Meine Muskeln spannten sich, ich schnellte vorwärts und sprang ihr an die Kehle. Ein heller, kurzer Schrei entfuhr ihr, dann ein Gurgeln. Ich war geübt, wusste genau, wo ich schneiden musste. Meine Hände kannten jeden Griff, mein Körper labte sich in Erinnerungen – an zerschnittenes Fleisch, an so viel Blut …

Sie sank in sich zusammen – die Augen geweitet, blankes Entsetzen spiegelte sich darin. Ich lächelte, mich an ihrer Angst ergötzend. Meine Worte kamen gurrend, fast sanft: »Niemand hört dich, süßes Mädchen. Keine Schreie, nur du und ich, dein Blut und deine Schmerzen.« Ich lachte leise. »Süßes Mädchen …«

Dann begann ich mein Werk.

 

© Marita Sydow Hamann

Alle Rechte vorbehalten.


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